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  • Anna Sacher und ihr Hotel. Im Wien der Jahrhundertwende

 

„Das Sacher – das bin ich!“ (Anna Sacher)

Berühmte Gäste und große Geschichte – vom Wien der Gründerzeit über das Fin de Siecle und den Ersten Weltkrieg bis in die 1930er Jahre.

 

Anna Sacher, selbstbewusste und legendäre Patronin des Hotel Sacher, leitete mehr als vier Jahrzehnte eines der führenden Hotels Europas. Ihre außergewöhnlichen Gäste und ihr unübertroffenes Gespür für die Wiener Gesellschaft haben sie weltberühmt gemacht. Sie inszenierte den Ort, an dem Geschichte geschrieben wurde.
In ihrem Hotel an der Wiener Ringstrasse trafen sich Menschen aus Hof und Hochadel, aus dem Geldadel und der aufstrebenden Industrie, Künstler, Schriftsteller und Ihre Musen. Das Hotel wird zur Bühne ihrer Begegnungen: Kaiserin Elisabeth, Kronprinz Rudolf, Arthur Schnitzler, Gustav Klimt, Gustav Mahler, die Rothschilds, die Wittgensteins – alles, was Rang und Namen hatte im Habsburgerreich.

Monika Czernin, deren Vorfahren selbst, ob als Außenminister oder Berater der Monarchie in dieser Zeit kräftig mitmischten, erzählt außerordentlich spannend und tief eintauchend in eine faszinierende Epoche die Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau.

 

Was das Adlon für Berlin und das Ritz für Paris, ist das Hotel Sacher für Wien.

 

 

 

 

Monika Czernin: Die Quellen zum Buch „Anna Sacher und ihr Hotel“:

 

Die Quellen zu diesem Buch sind so mannigfaltig, dass es den Rahmen sprengen würde, sie alle aufzuzählen. Im Firmenarchiv des Sacher fanden sich zwar einige wertvolle Funde, aber längst keine lückenlose Geschichte in Dokumenten. Das führte dazu, dass ich in unzähligen Büchern über Wien und die Zeit, in Memoiren und Biografien, der unerschöpflichen Fülle der Zeitungen und Zeitschriften sowie der Archive und Bibliotheken (etwa dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv, dem Kriegsarchiv, Landes- und Stadtarchiv, der Baubehörde, Nationalbibliothek oder der Wien-Bibliothek) nach Hinweisen zum Sacher suchte, um das Puzzle dieses Buches zusammenzusetzen: Im Bauakt, dem Grundbuch, dem Handelsgerichtsakt, den Testaments- und Verlassenschaftsakten, im Adressbuch Lehmann, im Gewerberegister und in den Trauungsmatrikeln, den Todesanzeigen und der Gräbersuche der Stadt Wien fanden sich brauchbare Hinweise. Da es sich um eine Erzählung handelt, die Protagonisten des Buches also allesamt szenisch agieren, musste ich trotz allen Faktenwissens meine Vorstellungskraft zu Hilfe nehmen, um der Geschichte die Lebendigkeit und die Atmosphäre zu geben, die ich mir für sie wünschte. Das Spiel mit Fakten und Fiktionalisierung will ich nun am Ende offenlegen und die wichtigsten Quellen und Hinweise nennen, die mich zu den Szenen mit all den bedeutenden, anmaßenden, tragischen und auch den törichten Persönlichkeiten inspirierten, die dieses Buch bevölkern.

 

Einleitung: Der große Fund; die mir von Elisabeth Gürtler ausgehändigte Kondolenzliste zu Eduard Sachers Tod, enthält natürlich eine weit größere Anzahl an Persönlichkeiten als im Buch Erwähnung finden. Die im Folgenden nachgereichte Auswahl ist eine Zusammenstellung der prominentesten Personen, die der Gastwirtin ihr Beileid aussprachen; in einigen Fällen diente mir ihr Beileidbekunden als ein Indiz dafür, dass sie zu den Gästen oder auch Stammgästen des Sacher zählten: Leopold Berchtold (Außen­minister 1912–1915), Familie Demel (k. u. k. Hofzuckerbäcker Demel), Nikolaus Dumba (griechisch-österreichischer Industrieller), Wilhelm Dukes (Besitzer des k. u. k. Hoflieferanten Jungmann & Neffe), Ignaz Ephrussi (Bankier, Vater von Viktor Ephrussi), Herr und Frau Felix Epstein (Bankier), Alexander Esterházy (aus der ungarischen Magnatenfamilie), Karl Figdor (Bankier), k. u. k. Hofschneider C. M. Frank, zahlreiche Gutmanns (Kohle- und Eisenmagnaten, Bankiers), Carl von Hasenauer (Architekt), Konstantin zu Hohenlohe (Erster Obersthofmeister), Eugen Kinsky (Grundbesitzer, Bankier), Moritz und Heinrich Königswarter (Bankiers und Großhändler), Philipp Kallmus (Hof- und Gerichtsadvokat, Vater von Madame d’Ora), Johann Kattus (k. u. k. Hoflieferant Weinhandlung und Kaviarfaktorei), Gustav Leon (Kaufmann, Mitglied der Unionbaugesellschaft und Nachbar des Hotel Sacher), Olga Lewinsky (Schauspielerin), Rudolf Liechtenstein (regierender Fürst von Liechtenstein), Gustav von Mauthner (Generaldirektor der Creditanstalt), Raphael Mayer de Also-Ruszbach (Privatier), Karl Morawitz (Präsident der Anglo-Österreichischen Bank), Baron Ludwig Oppenheimer (Bankier), Eduard Palmer (Generaldirektor der Österreichischen Länderbank), Nathaniel Rothschild (Bruder des Bankiers Albert Rothschild), Stefan Schey von Koromla (Bankier), Franz Ringhoffer (Waggon- und Autofabrikant), Julius Schuster (zentraler Güterdirektor von Nathaniel Rothschild), Fürst Schwarzenberg (wahrscheinlich Karl IV., Grundbesitzer, Politiker), Marianne Schoeller (Witwe des Gustav Adolf Schoeller, Großindustrieller), Eduard Taaffe (Ministerpräsident 1868–1870 und 1879–1893), Ernestine Thorsch (Gattin des Bankiers Philipp Thorsch), Sophie von Todesco (Witwe von Eduard von Todesco, Großunternehmer und Bankier), Hans Wilczek (Grundbesitzer, Mäzen, Gründer der Wiener Rettungsgesellschaft, Finanzier der Österreichisch-Ungarischen Nordpolexpedition), Karl Wittgenstein (Eisenmagnat, Montanindustrieller), Josef Wieninger (Genossenschaft der Gastwirte).

 

Über Eduard und Anna Sacher gibt es eine Sammlung von Zeitungsartikeln im Tagblattarchiv der Wien-Bibliothek, wo ich auch das berühmte Gästebuch aus dem Sacher-Garten, welches sich einst im Besitz des Verlegers Christian Brandstätter befand, wiedergefunden habe. Darüber hinaus erschienen in den einschlägigen Branchenblättern der damaligen Zeit wie etwa dem Stammgast Artikel über sie, insbesondere ein besonders ausführlicher zum 25. Unternehmensjubiläum von Eduard Sacher und zu dessen Tod. Und natürlich fanden sich wertvolle Hinweise in den Büchern über das Sacher selbst (Leo Mazakarini, Andreas Augustin, Ernst Hagen, Emil Seeliger). Da aber leider weder Tagebücher noch Briefe der beiden existieren, formte sich das Bild der Anna Sacher, ihre Persönlichkeit und ihr Charakter erst allmählich in mir, wobei ich oftmals die Einbildungskraft und die Fantasie des Romanciers zu Hilfe nehmen musste.
Wo Anna Sacher nach der Heirat mit Eduard Sacher gewohnt hat, lässt sich heute kaum noch ermitteln. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass die junge Familie in der Nähe von Vater Franz Sacher in Baden bei Wien lebte. In den Meldeunterlagen lässt sich dies nicht bestätigen, und es wäre damals auch eine viel zu weite Pendlerstrecke ins Zentrum von Wien gewesen. Das Wiener Adressbuch Lehmann führt als Eduard Sachers Wohnsitz stets nur die Augustinerstraße an, also das Hotel. Und in späteren Jahren hat Anna in der 1907 hinzuerworbenen Maysedergasse gewohnt. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Familie zumindest ein Pied-à-terre im Hotel besaß, so, wie das oft bei Hotelbesitzern oder Hoteldirektoren der Fall gewesen ist.
Das Ölgemälde mit den Großeltern Reitter stellt einen ganz besonderen Recherchefund dar. Es ist durch Zufall Christopher Wentworth-Stanley, der dieses Buch mit noch vielen anderen Hinweisen bereichert und Stammbäume der Sacher- und der Schusterfamilie erstellt hat, bei einer Kunstauktion im Wiener Dorotheum in die Hände gefallen. Später hat er es an einen der Nachkommen von Anna Maria Schuster, geborene Sacher, weitergegeben.
Ein Nachtrag zur Sachertorte: Ingrid Haslinger, Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hof-, Silber- und Tafelkammer, ist der Ansicht, dass Franz Sacher die Sachertorte erst nach 1848 erfinden konnte, da man davor noch nicht in der Lage war, den Sachertorten-typischen Schokoladeguss zu fertigen. Zudem glaubt sie, dass der Sacher-­Stamm­herr die Torte nicht als Eleve bei Metternich, sondern in Ungarn bei den Esterházys erfand. Da jedoch ein Leser­brief Eduard Sachers existiert, in dem er selbst detailliert die Metternich-Version darlegt, habe ich mich hier für die gängige Variante entschieden.

 

Eduard Todesco zählte als Besitzer des Palais, in dem Eduard ­Sacher seinen ersten Delikatessenladen mit angeschlossenem Restaurant besaß, sicherlich zu den Stammgästen des Lokals – nicht bloß, weil er es nicht weit hatte, sondern vor allem, weil schon dieses Sacher-Restaurant ein beliebter Treffpunkt der Gesellschaft war. Als seine Frau Sophie zum Tod Eduard Sachers kondolierte, war der Bankier bereits tot, weshalb er in der Kondolenzliste nicht auftaucht.

 

Karl von Hasenauer kondolierte nicht nur zu Eduard Sachers Tod, er findet sich auch im Gästebuch des Sacher-Gartens. Als Architekt der Rotunde war er mit Sicherheit in die Entscheidung darüber eingebunden, welcher Gastwirt das Rotundenbuffet übernehmen sollte. Dass er höchstpersönlich den Konstantinhügel erklomm, um den Gastwirt dazu zu überreden, ist nicht belegt und entspringt meiner Imagination.
Dass Nasir ad-Din, der Schah von Persien, höchstpersönlich beim Rotundenbuffet eine Sachertorte kostet, ist ebenfalls ein dramaturgischer Kunstgriff. Dennoch ist es durchaus möglich, dass der Gastwirt und der illustre Herrscher irgendwo aufeinandergestoßen sind, war doch der Besuch des Schahs einer der Höhepunkte der Weltausstellung und Sachers Restaurant auf dem Konstantinhügel ein beliebter Rückzugsort der Prominenz. Tatsache ist jedoch, dass Eduard Sacher einen Löwen- und Sonnenorden besaß. Wann, wenn nicht anlässlich des Schah-Besuchs, sollte der Gastwirt diese hohe persische Auszeichnung erhalten haben? Ähnlich bin ich im Kapitel über Kronprinz Rudolf mit dem Takovo-Orden umgegangen. Auch er wurde gemeinhin vom serbischen König verliehen, weshalb die Ordensverleihung anlässlich des Diners, welches Eduard Sacher als Traiteur in Belgrad veranstaltet hatte, keinesfalls abwegig ist.
Es herrscht keine Einigkeit darüber, ob Eduard Sacher von Beginn an in den Bau des Hotels – damals ein Maison meublée – involviert war oder ob er das Haus erst nach der Fertigstellung von der Union-Baugesellschaft gekauft hat. Doch die vorliegenden Dokumente belegen, dass er praktisch von Anfang an der Realisierung seines Projektes beteiligt war, auch wenn als Käufer des Grundstücks 1872 Adolph Graf Dubsky, Gustav Leon, Phillipp Mauthner (ein entfernter Verwandter der jetzigen Besitzerin Elisabeth Gürtler) und Arthur von Layer auftreten. Schon in den Bauplänen von 1873 wird indes von einem »Bau Restaurant Sacher« durch den Wiener Bauverein, die spätere Unionbaugesellschaft, gesprochen. Nicht zuletzt die Notiz in der amtlichen Wiener Zeitung vom 22. Oktober 1873 bestätigt dies: »Neumann (Abgeordneter) berichtet über ein Ansuchen des Restaurateurs Eduard Sacher um Verleihung des Bauconsenses für ein Wohnhaus auf der Area des demolierten alten Kärntnertortheaters.« Interessant ist in dem Zusammenhang, dass Sacher um eine Baugenehmigung für ein Wohnhaus ansuchte, die auf der Ringstraße leichter zu bekommen war als eine Baugenehmigung für ein Hotel. Obwohl Eduard Sachers neues Etablissement seine Tore schon 1876 eröffnete und Eduard 1878 zur Restaurant- auch noch die Hotelkonzession hinzuerhielt, findet man das Hotel erst ab Mitte der 1880er Jahre regelmäßig in den Fremdenlisten, die die Zeitungen, allen voran die Wiener Zeitung, täglich veröffentlichten. Womöglich musste man Gäste, die ein Appartement im Maison meublée (eine Art Hotel garni ohne Verköstigung) gemietet hatten, nicht der Polizei melden, oder die Zeitungen fanden es unter ihrer Würde, auch diese Häuser zu erwähnen. Bis 1891 hieß das Sacher »Hotel de l’Opera«, am 24. Juli 1891 erfolgte die Umbenennung in »Hotel Sacher Eduard Sacher«. Ab dem Herbst 1891 führte das Sacher dann die Fremdenlisten an (obwohl es alphabetisch zuhinterst aufscheinen hätte müssen), und die Namen der Gäste werden ebenso wohlklingend wie die der anderen führenden Hotels der Stadt.

 

Kaiserin Elisabeth und ihre Suite weilten tatsächlich am 2. Juni 1881 im neu eröffneten Sacher-Garten, wie unter anderem aus dem Eintrag im Gästebuch des im Prater eröffneten Nobelrestaurants hervorgeht. Bis 1922 wurde es von der Familie Sacher geführt, 1945 brannte das Gebäude beim Praterbrand nieder, weshalb sich nur noch ein Foto und ein Gemälde des Etablissements erhalten haben.
Auch eine reich verzierte Rechnung an die Kaiserin über eine Sachertorte zu vier Kronen hat sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv erhalten, datiert vom 25. Januar 1891 und gerichtet an die Kammer Ihrer Majestät Kaiserin Elisabeth. Des Weiteren findet sich dort eine weniger hübsche Rechnung für eine Torte aus dem Jahr 1884. Die Szene, in der die Kaiserin mit Genuss im Sacher-Garten eine Sachertorte isst, wird sich wohl so (oder so ähnlich) zugetragen haben.
Auch der Abschnitt, in dem die junge Anna Fuchs am Makart-Festzug ihren späteren Gemahl erblickt, ist durchaus wahrscheinlich, ritt Eduard Sacher doch tatsächlich bei den Gastwirten im berühmten Makart-Zug vorneweg. Dies ist in einem umfangreichen (und für den heutigen Leser reichlich weitschweifigen) Artikel über das Ereignis in der Neuen Freien Presse belegt. Hans Makart in voller Montur ins Sacher zu schicken und ihn dort auf eine Handvoll Stammgäste treffen zu lassen, entspringt allerdings meiner Imagination. Noch eine Richtigstellung: Die Trauung von Anna und Eduard Sacher fand nicht, wie oft berichtet, in der Augustinerkirche, sondern am 21. Februar 1880 im Stephansdom statt. Dies geht aus der Trauungsmatrikel und einem Artikel von Anna Sachers Neffen Hans Fuchs in der Zeitschrift Adler hervor. Das Wissen darum, dass Anna eine anständige Mitgift bekam, ist einem der profundesten Artikel über das Sacher zu verdanken: »Vom Frühstückszimmer zum Welthotel: Frau Anna Sachers Verlassenschaft im Ausgleich«, erschienen in der Tel-Press (8.07.1932).

 

Hans Wilczek, mein Ururgroßvater, ist in derart vielfältiger Weise mit dem Sacher und seiner Welt verbunden, dass ich ihn zu einem Art Dauergast und gutem Hausgeist gemacht habe. Er hat natürlich ein Billet zum Tode Eduard Sachers geschickt, im Gästebuch des Sacher-Gartens erscheint er tatsächlich nach einem Diner für den Ruderclub als erster Gast, in seinen Memoiren erwähnt er nicht nur das Sacher, sondern auch seine Freundschaft zu Julius Schuster und Nathaniel Rothschild (die auch Nora Fugger in ihren Memoiren wiederum vermerkt hat).

 

Auch Nathaniel Rothschild hat der Gastwirtin zum Tode ihres Mannes kondoliert und sehr viel später Anna Sacher ein Foto mit Widmung für ihre Bildergalerie spendiert. Dass die beiden nicht nur befreundet waren, sondern auch häufig im Sacher saßen, ist kaum zu bestreiten. Somit stellten sie zweifellos auch für ihre jeweiligen Standesgenossen Wegbereiter dar, die das Etablissement der Frau Sacher erstmals als Treffpunkt zwischen katholischem Adel und jüdischem Großbürgertum nutzten. Bei Irenè Sacher, einer Nachfahrin der Sachers aus Baden, fand ich tatsächlich einen Stich, den Hans Wilczek seinem guten Freund Carl Sacher, dem Bruder von Eduard, geschenkt hatte. Dies macht es nur umso wahrscheinlicher, dass Hans Wilczek und Jaromir Mundi eine Gründungssitzung ihrer Rettungsgesellschaft bei Carl Sacher in Baden abgehalten hatten.

 

Kronprinz Rudolf war des Öfteren Gast im Sacher, sowohl im Sacher-Garten als auch im Café, Restaurant und in den Separees im Haus hinter der Oper. Den Memoiren des berühmten Musikkritikers Eduard Hanslick zufolge fand im November 1888 die letzte Sitzung zum Kronprinzenwerk statt, an der Erzherzog Rudolf teilnahm, bevor er im Januar 1889 Selbstmord beging. Zwei bis drei Mal im Jahr, so Hanslick, lud der Kronprinz das Redak­tions­komi­tee auch zum Diner ein, weshalb es mir plausibel erschien, Sitzung und Essen in einer Szene zusammenzuführen.
Im Haus-, Hof- und Staatsarchiv sind zwar das Ansuchen Eduard Sachers zum Hoflieferanten und dessen Bestätigung verzeichnet, die Tatsache aber, dass er auch Kammerlieferant des Kronprinzen war, erschließt sich nur aus der Todesanzeige Eduards und aus dem Adressbuch Lehmann, wo dieser Zusatz allerdings erst 1891 – also nach Rudolfs Tod – auftaucht. Dass Eduard Sacher den Kronprinzen sogar nach Belgrad begleitet und das Diner am Königshof dort ausgerichtet hat, ist durch den Artikel im Stammgast verbürgt. Eduard Sacher war ein berühmter Traiteur, heute würde man Cate­rer sagen, der nicht nur in Wien zu unzähligen Veranstaltungen gerufen wurde (so versorgte er etwa einen Ball für über hundert Gäste beim Walzerkönig Johann Strauss am 3. März 1888), sondern der laut Stammgast sogar bei der Hochzeit von Konstantin I. von Griechenland und Sophie von Preußen am 27. Oktober 1889 in Athen das Hochzeitsmahl zubereitet haben soll.

 

Pauline Metternich, die grande dame der Mode und der Wohltätigkeit, war wie auch Anna Sacher und alle anderen im Kapitel genannten Damen Stammkundin beim k. u. k. Hoflieferanten Jungmann & Neffe. Das belegen die faszinierenden Kundenbücher dieses bis heute fast unveränderten Geschäftes am Albertinaplatz. Dort sind alle erwähnten Käufe akribisch vermerkt, oftmals wurden sogar Stoffmuster mit ins Buch geklebt. Auch die Kundenkartei dieses Hoflieferanten (die wohl ein eigenes Buch verdienen würde) ist ein getreues Abbild der Ringstraßengesellschaft und ihrer luxuriösen Lebensweise. Den geheimen Gang von Jungmann & Neffe hinüber ins Hotel Sacher gibt es in Ansätzen noch immer, Georg Gaugusch, der jetzige Besitzer des Geschäftes für feinste Stoffe, hat mir gezeigt, wo er einst verlief.
Der Handelsgerichtsakt bestätigt, dass Anna Sacher nach Eduards Tod das Unternehmen zunächst für die Erben fortführte, doch schon im Jahr 1895 wird sie dort als Alleineigentümerin geführt. Eduard Sacher wollte, dass das Unternehmen nach seinem Tod verkauft wird und der Erlös seinen drei Kindern aus der Ehe mit Anna Sacher sowie seiner Tochter aus erster Ehe, Rosa Zwierschütz, vermacht wird. Woher Anna Sacher das Geld nahm, um die Kinder auszubezahlen, ist indes nicht zu klären. Jedenfalls setzt Anna Sacher 1895 einen Franz Schuster als Prokuristen ein, der diese Funktion bis 1916 ausübte und im gleichen Jahr wie Julius Schuster senior starb.

 

Arthur Schnitzler war ein wirklicher Stammgast des Sacher. Das belegen die Einträge in seinen Tagebüchern, die mir Peter Michael Braunwarth zur Verfügung stellte und die ein wunderbarer Fundus für Szenen im Sacher waren. Dass er so oft an diesem für die großbürgerliche und aristokratische Welt der Monarchie so wichtigen Ort weilte, erklärt womöglich noch besser, warum er so ein großartiger Kenner der Seelen seiner Zeit und ein so wunderbarer Chronist dieser Gesellschaftsschicht war. Dass Julius Schuster Anna Sacher indes in die Premiere der Liebelei einlud, lässt sich freilich nicht belegen, als dramaturgischer Eingriff hingegen erschien es mir jedoch überaus sinnvoll. Die Gesellschaft, die nach der Premiere von Sudermanns mittelmäßigem Stück im Sacher feiert, ist genauso bei Schnitzler belegt. Auch Theodor Herzl, der Schöpfer des Judenstaates, war bewiesenermaßen dabei, was mir die Gelegenheit bot, auch noch Reverend William Hechler an jenem Abend ins Sacher zu zitieren: Denn es stimmt tatsächlich, dass der anglikanische Pastor gemeinsam mit Julius Schuster und Nathaniel Rothschild in die Gründung des First Vienna Footballclubs involviert war. Das Inverness Cape, das der Reverend stets über der Priester-Soutane trug und in dem er unzählige Taschen für Bibeln und Kissen hatte, hätte man sich kaum besser ausdenken können, als es, durch die Memoiren des ungarischen Porträtmalers Laszlo belegt, in Wirklichkeit gewesen ist.

 

Dass Karl Lueger kein Freund des Sacher war, kann man in diversen Artikeln, vor allem aber bei Siegfried Weyr nachlesen, und auch John Boyer, Luegers Biograf und Historiker an der Chicago University, hat es mir bestätigt. Er war in der Tat zu geizig für das Luxusrestaurant, wie aus den Memoiren der Malerin Marianne Beskiba hervorgeht. Im Wiener Straßenbahn-Museum habe ich die Geschichte mit dem 63er verifizieren können, die ohne Datum in diversen historischen Quellen auftaucht. Anna Sacher ist dagegen Sturm gelaufen und hat wohl auch diverse Eingaben gemacht. Dass sie selbst kurzerhand ins Bürgermeisteramt eilte und Lueger eine Szene machte, entspringt hingegen meiner Einbildungskraft. Dass sie auf einem Ball im Rathaus gegen Lueger wetterte, steht hingegen schon bei Siegfried Weyr. In diversen Quellen ist nachzulesen, dass alle Welt der Frau Sacher einen Handkuss gab. Ich habe mir erlaubt, meinen Ururgroßvater zum Urheber dieser Freundlichkeit zu erheben. Es hätte nur allzu gut zu ihm gepasst. Ein anderer Urheber, nämlich der des Ausspruches »Wer ein Jude ist, bestimm ich«, ist ganz eindeutig der Wiener Bürgermeister Karl Lueger und nicht Hermann Göring, der, wie Hitler, vom Antisemiten Lueger eben nur gelernt hat.

 

Karl Wittgenstein taucht schon in den Beileidsbekundungen zu Eduard Sachers Tod auf. Die Geschichte, der zufolge er einst den Kollegen Rappaport zwang, ihn ins Sacher einzuladen, ist bei Jorn Bramann und John Moran vermerkt. Daraus und aus der Tatsache, dass Wittgensteins Büro sich in Gehweite zum Sacher befand, war leicht zu schlussfolgern, dass das Sacher für Wittgenstein tatsächlich so etwas wie sein Speisezimmer war. Den Zeitpunkt des Mittagessens mit Kestranek und Feilchenfeld habe ich den dramaturgischen Notwendigkeiten angepasst. Das Essen mit dem amerikanischen Tycoon Charles Schwab im Klimt-Kapitel ist indes weder erfunden noch terminlich verlegt, es findet sich genau so in den Memoiren des Porträtmalers Fülöp László.
Dass das böhmische Industriellenpaar Ringhoffer am gleichen Tag im Sacher abstieg, an dem Wittgenstein dort lunchte, ist natürlich ein Kunstgriff. Doch finden sich die Ringhoffers bereits in der Kondolenzliste, und die schöne Lilli Ringhoffer schenkte Anna Sacher nach dem Krieg ein Foto von sich für die Bildergalerie. Einer der Wittgenstein-Söhne – wohl der Pianist Paul oder der Philosoph Ludwig – soll kurz vor dem Ersten Weltkrieg einmal einen Golfball aus dem Vestibül des Sacher abgeschlagen und in Richtung Opernhaus gefeuert haben. Auch dies zeigt, wie sehr das Sacher für die Wittgensteins ein erweitertes Zuhause darstellte. Mit den Wittgensteins bestätigt sich meine These einmal mehr, dass das Sacher immer auch ein »jüdisches« Hotel war, wenn auch bereits der Vater von Karl Wittgenstein zum Protestantismus konvertiert war und die Familie sich nicht besonders »jüdisch« fühlte. Diese Einstellung zur Religion der Väter ist fast exemplarisch für die assimilierten und konvertierten jüdischen Großbürger im Wien der Zeit. Sie dennoch als jüdische Familie zu bezeichnen, ist trotzdem durchaus legitim, denn, wie Steven Beller schreibt, »war die Tatsache jüdischer Vorfahren in der Familie gleichbedeutend mit einer Weltanschauung, die sich von jener der Mitbürger nicht-jüdischer Abstammung grundlegend unterschied. Aus diesem Blickwinkel gesehen, war die Assimilation, die sich bei Weitem nicht in einer vollständigen Mischung mit der übrigen Bevölkerung vollzog, schon als solches ein jüdisches Phänomen«.

 

Karl Kraus hat das Sacher in Die letzten Tage der Menschheit und auch in seiner Fackel öfter erwähnt, und Karl Wittgenstein war einer seiner Lieblingsfeinde. Deshalb habe ich mir erlaubt, den großen Satiriker und Moralisten doch zumindest für einen kurzen Augenblick an einen Tisch zur Beobachtung des Geschehens ins Sacher zu setzen.

 

In der Neuen Freien Presse vom 12. Februar 1901 findet sich ein langer Nachruf auf König Milan von Serbien, in dem auch seine Vorliebe für das Hotel Sacher erwähnt wird. Später wohnte er dann jedoch im Imperial und in der vom Kaiser gespendeten Wohnung. Ich fragte mich folglich, wieso er, der Anna Sacher schon in den 1890ern ein Foto von sich widmete, der in den 1880er Jahren im Sacher-Garten speiste und angeblich sogar mit Eduard Sacher und Kronprinz Rudolf aus dem Praterteich gefischt wurde, wohl dem Sacher untreu geworden war. So entstand die Anfangsszene des Kapitels über Milan und die Lage auf dem Balkan.
Der Sommeraufenthalt der Familie Schuster in Millstatt ist im Salonblatt vom 8. Juli 1899 belegt, woraus leicht zu schließen war, dass die Familie jedes Jahr in ihre Villa nach Kärnten fuhr. Dass Julius Schuster nach kurzer Zeit wieder nach Wien reiste, um Anna Sacher zu treffen, entspringt meiner Imagination. Dass er, der zentrale Güterdirektor von Nathaniel Rothschild, mit seinem Chef die Gartenschau auf der Weltausstellung in Paris betreute, ist indes eine verbürgte Tatsache. Auch die Szene mit Rudi Pick beruht auf Überlieferungen oder zumindest auf den Memoiren des Journalisten Heinrich Benedikt, der mit den Picks verwandt war – und es daher wohl wissen musste.

 

Dass Gustav Klimt auch ein Sacher-Gast war, habe ich das erste Mal in der großen Ausstellung »Klimt Persönlich« im Jahr 2012 im Wiener Leopoldmuseum entdeckt. Dort wurde die Postkarte vom Juni 1902 an Emilie Flöge ausgestellt, aus der ich die erste Szene des Kapitels zitiere. Bald darauf fand ich bei Berta Zuckerkandl und Ludwig Hevesi alles über den Besuch Rodins in Wien und im Sacher-Garten.

 

Gustav Mahlers Stammlokal war das Sacher tatsächlich nicht, das bestätigte mir der Publizist und Mahler-Kenner Helmut Brenner. In seinen und den anderen Büchern über den Komponisten, vor allem bei seinem Biografen Jens Malte Fischer, finden sich aber die maßgeblichen Hinweise zu Gerhart Hauptmann und dessen Wien-Besuch, bei dem er im Sacher logierte und dort mit Mahler zusammentraf. Mehr als der Hofoperndirektor hat sich der Kammersänger Leo Slezak im Sacher aufgehalten und noch in den 1920er Jahren das obligate Foto von sich gestiftet. Die berühmte Anekdote über den nimmersatten und deshalb auch äußerst korpulenten Kammersänger mit den »Gänsen« habe ich ins Sacher verlegt.

 

Philipp Kallmus, der Vater der Fotografin Madame d’Ora, hatte Anna Sacher schon zum Tod Eduards kondoliert, und tatsächlich ist Anna Sacher unter den Ersten, die sich von Dora Kallmus foto­grafieren ließen. Dies schien mir Grund genug, ihr ein eigenes Kapitel zu widmen, und ich habe mir erlaubt, die beiden Frauen unterschiedlichen Alters und ihren doch so ähnlichen Geschäftssinn als selbstständige Unternehmerinnen zu beschreiben. Im Verlassenschaftsakt der Anna Sacher sind alle Juwelen aufgeführt, die die Gastwirtin bei ihrem Tod 1930 besaß. Zählt man die angegebenen Werte zusammen, ergibt sich ein Juwelenbesitz von damals 30.000 Schilling. Das ist eine enorme Summe, wenn man bedenkt, dass damals, bei Eröffnung des Gläubiger- und dann Konkursverfahrens, der Teil des Hotels in der Maysedergasse mit 300.000 Schilling bewertet wurde. Manchmal habe ich die alten, ewig weiterkolportierten Sacheranekdoten – hier die mit den Bullys und dem Kaviar – etwas verändert wieder- und weitergegeben und damit Annas Grundsatz gehorcht, dass ein Hotel Legenden braucht, um zu Bedeutung zu gelangen.

 

Glaubt man den Erinnerungen des Militärjournalisten Emil Seeliger, muss sich das besagte Essen für Erzherzog Franz Ferdinand etwa Ende 1911, Anfang 1912 im Sacher zugetragen haben, und die Herren haben sich vor allem über die Flottenpolitik der k. u. k. Monarchie unterhalten, die 1911 noch ein großes Anliegen des Erzherzogs war. Nun, diese Geschichte musste ich aus dramaturgischen Gründen in den Herbst 1912 verlegen – an den Anfang des Balkankrieges, der für das weitere Geschehen so eine große Rolle spielte. Denn mit den Balkankriegen änderte sich für Österreich-Ungarn alles, wie Christopher Clark schreibt. Bereits 1896 hatte der Erzherzog ein Fotos von sich für die Bildergalerie der Anna Sacher gespendet. Dass auch der Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf im Sacher speiste, darf man zwar annehmen, wiewohl er keine Tage­bücher geführt hat und es keinen konkreten Hinweis dafür gibt, wie mir der Historiker Wolfram Dornik bestätigte. Aber seine gesellschaftliche und berufliche Stellung machen es höchst unwahrscheinlich, dass er, nur weil er als eher menschenscheu galt, das Sacher mied. Wann Anna Sacher genau die Idee mit dem Tischtuchgästebuch kam, lässt sich den Quellen nicht entnehmen, allerdings darf angenommen werden, dass sie die Konkurrenz des Grand Hotels, des Imperial und des Bristol ein Leben lang störte und sie deshalb nach Mitteln und Wegen gesucht hat, das Sacher auf ihre Art zum bedeutendsten Hotel der Stadt zu machen. Eine der bekanntesten Anekdoten über das Sacher ist die mit dem nur mit einem Säbel bekleideten Erzherzog Otto. Doch alle Nachforschungen, dies im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu verifizieren, blieben erfolglos. Otto selbst hat die Episode Emil Seeliger gegenüber dementiert.

 

Interessanterweise erwähnen die Society-Blätter nur den Sieg des Pferdes von Nikolaus Szemere, nicht aber das Fest. Dass der spätere Journalist Siegfried Weyr, der damals noch an der Akademie der Künste studierte, oder der Offizier und Szemere-Freund Emil Seeliger, der in seinen Memoiren angab, dem Fest sogar beigewohnt zu haben, das Ganze nur erfunden haben, ist trotz deren Hang zu Anekdoten und Legenden allzu unwahrscheinlich. Vielleicht haben sie dieses letzte Fest des alten Europa in der Rückschau größer und märchenhafter gemacht, als es tatsächlich war. Doch damit sind sie in bester Gesellschaft: Eine ganze Schriftstellergeneration, angeführt von Stefan Zweig und Robert Musil, hat die Welt von Gestern, nachdem sie untergegangen war, verklärt und damit ein Wien-Bild erschaffen, dessen Beharrungsvermögen so groß ist, dass seine Demontage immer nur in Ansätzen gelingen kann.

 

Die Tatsache, dass Viktor Ephrussi zu Beginn des Krieges ins Sacher übersiedelte, verdanke ich dem Buch von Edmund de Waal über seine Familie, wiewohl auch er nichts Näheres über die Gründe für diesen Einzug wusste. Doch dass das Sacher ein Stammlokal der Familie gewesen war, beweist bereits die Kondolenzliste zu Eduards Tod, in der auch Ignatz Ephrussi auftaucht. Sämtliche Angaben zu Anna Sachers Sohn Eduard und seiner Laufbahn im Krieg beruhen auf meiner Recherche im Kriegsarchiv. Zusammen mit dem Akt über sein Entmündigungsverfahren und den im Grundbuch belegten Pfandleihen auf sein Erbe ergibt sich ein stimmiges Bild des Sorgenkindes der Anna Sacher.

 

Ottokar Czernin war ein häufiger Gast des Sacher, wie Zeitungsberichten ebenso zu entnehmen ist wie auch seinen Tagebüchern oder der Biografie von Ladislaus Singer. Mitten im Krieg telefonierte der Außenminister mit seinem deutschen Pendant Bethmann-Hollweg nachweislich aus dem Sacher, und die Episode mit Felix Salten erwähnt der Schriftsteller im Nachruf auf den Poli­ti­ker in der Neuen Freien Presse. Ottokar Czernin hat Anna Sacher 1918 auch ein Porträt von sich für ihre Fotogalerie gebracht und mit »In Freundschaft und Dankbarkeit« unterschrieben. Die berühmte Anekdote mit Trotzki im Café Central wird von Hilde Spiel tatsächlich Ottokar Czernin zugeschrieben. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky hingegen, dessen Vater vor dem Krieg ebenfalls das Café Central frequentierte, meinte in einer Pressekonferenz in den 1970er Jahren indes, dass es ein Beamter des Außenministeriums gewesen wäre, und selbst zu dieser Variante der Geschichte gibt es noch weitere. Dass Czernin Trotzki in Brest-Litowsk jedoch versprochen hat, ihm seine Bibliothek aus Wien zukommen zu lassen, ist durch die Tagebücher des Außenministers verbürgt. Dass es mitten im Krieg im Sacher alle die im Kapitel genannten Speisen gab, würde man für frei erfunden halten können, doch habe ich es einer Speisekarte des Sacher aus dem Januar 1918 entnommen, die die Österreichische Landzeitung vom 11. Januar abdruckte. Auch alle anderen beschriebenen Episoden aus der Kriegszeit haben sich tatsächlich im Sacher abgespielt, wie man den Zeitungen entnehmen kann.

 

Der Biograf Dieter Stiefel hat mir bestätigt, dass Camillo Castiglioni mit Sicherheit Gast des Sacher war. Auch die Geschichte mit dem Pferdefleisch ist keineswegs eine Erfindung, sondern eine u. a. von Mazakarini belegte Tatsache. Die Idee allerdings, die falschen Wiener Schnitzel ausgerechnet Camillo Castiglioni angedeihen zu lassen, ist einer maliziösen Eingebung der Autorin zu verdanken. Die Krawallnacht mit dem Sturm auf die Grandhotels hat es natürlich gegeben, und sie wird in der Neuen Freien Presse ausführlich beschrieben. Dass nur das Sacher – und zwar wegen seiner tatkräftigen Chefin – verschont geblieben ist, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass das Hotel in jenem Artikel nicht erwähnt wurde. Aber auch in William Johnstons großer österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte findet sich dieses Ereignis, wobei er sich auf die Erzählungen des Journalisten Max Graf beruft.

 

Max Reinhardt hat laut Ludwig Hirschfeld, immer wenn er in Wien weilte, im Sacher gewohnt, und die Geschichte vom ersten Vorstellungsgespräch, das im Sacher stattfand, hat Helene Thimig in ihrem Buch über ihren Ehemann und Regisseur festgehalten. Das Abendessen, zu dem Reinhardt ins Sacher einlud, verdanke ich Schnitzlers Tagebüchern. Die Geschichte um die Premierenfeier von Gräfin Mariza im Sacher beruht auf der Ausstellung von Marie-Theres Arnbom über die Operette und ihre Welt. Die Kontroverse mit dem Betriebsrat wird sowohl in der Arbeiterzeitung (AZ 25.10.23) als auch in der Neuen Freien Presse geschildert, wobei leider nirgendwo etwas über die Gründe für den Rauswurf vermerkt ist, weshalb ich den sozialen Kämpfen der Zeit entsprechend den Acht-Stunden-Tag zum Thema gemacht habe. Die Tochter des Betriebsrats Friedl Hofbauer berichtete von der Angelegenheit im Jahr 1959 in einem Artikel sowie davon, dass ihre Mutter als Frisöse bei Anna Sacher arbeitete.

 

Anna Sachers Verlassenschaftsakt ist eine wahre Fundgrube, nicht nur, weil er Aufschluss über das nicht mehr vorhandene Vermögen der Gastwirtin und ihre Vorstellungen zur Erbfolge gibt. Er enthält die komplette Liste aller Gläubiger, insgesamt um die 400 Personen und Unternehmen. Alle Angestellten des Sachers, die Lieferanten des Hotels, die Handwerksbetriebe, Krankenkassen und Berufsvereinigungen. Das Dokument ist eine Matrix des Hotelbetriebs und ein soziologisches Skelett, das die Inspiration für viele Geschichten und Zusammenhänge in diesem Buch darstellt. Natürlich findet sich in der Gläubigerliste Oberkellner Josef Wagner, der 1890 als 20-Jähriger ins Sacher kam, bald zum Oberkellner avancierte und seine Chefin Anna Sacher um Jahre überlebte. Aber auch der elegante Zimmerkellner Albert Blauensteiner und der Chefportier Ludwig Puchinger sind darunter. Das Stubenmädchen Emma Binder fand sich so wie der Küchenchef Felix Possaward (er kochte vierzig Jahre lang im Sacher und stand einer Mannschaft von meistens zehn Unterköchen und acht Küchen­jungen vor), die Sekretärin Stefanie Müller, der Zimmerputzer Josef Winkler, der Nachtportier (im Verlassenschaftsakt bloß als Portiersgehilfe vermerkte) Sebastian Mayr (der manchmal in der Zeitung über das Sacher schrieb und den ich deshalb im Buch die Laufbahn vom Pagen zum Portier durchmachen ließ) oder der Kellermeister Anton Müller.
Auch die Liste der Unternehmen und Handwerksbetriebe, die sich unter den Gläubigern befanden, ist äußerst interessant, so finden sich neben allen üblichen Betrieben wie Installateuren, Zuckerbäckereien, der Arbeiter-Unfall-Versicherung, der Gehilfen- und Lehrlingskrankenkasse der Genossenschaft der Gastwirte (die Eduard Sacher einst mitbegründet hat) sowie dem Gremium der Wiener Kaufmannschaft das Brauhaus Pilsen, die Großwäscherei Excelsior, der Papierkonfektionär Josef Gratzer, die holländische Handelsgesellschaft Hollindia, der k. u. k. Hoflieferant und Zuckerlfabrikant Gustav und Wilhelm Heller (der österreichische Multimediakünstler André Heller ist ein Enkel des Letzteren), die Europäische Güter- und Reisegepäcksversicherungsgesellschaft, die Jungbunzlauer Spiritus und chemische Fabrik, die Luster & Metallwaren Fabrik Alois Pragan & Brüder, Karl Viktorin Spezialfabrikation moderner Küchenanlagen, die Österreichische Glühlampenfabrik Osram und so weiter und so fort. Und natürlich der k. u. k. Hofzuckerbäcker Demel, dem Eduard Sacher junior in späteren Jahren die Lizenz zur Produktion der Original-Sachertorte verkauft hatte, woraus sich der berühmte »Torten-Krieg« entwickelte, der sich samt Gerichtsprozessen und einstweiligen Verfügungen vom Jahr 1938 bis 1962 hinzog. Er ging bekanntlich zugunsten des Sacher aus, dem die Marke »Original Sacher-Torte« seither alleinig zusteht.

 

 

Sie wollen mehr über die Zeit von Anna Sacher lesen? Literaturtipps von Monika Czernin: Auch die Literatur, die mir geholfen hat, ein lebendiges und historisch schlüssiges Bild der Epoche zu zeichnen, ist überbordend. Dennoch möchte ich einige Werke herausheben, die mir besonders wichtig waren und die im Text zitiert oder verwendet werden.

 

Arnbom, Marie-Theres. Friedmann, Gutmann, Lieben, Mandl, Starkosch. Fünf Familienporträts aus Wien vor 1938. Wien 2002.

Augustin, Andreas. Hotel Sacher Wien. Wien 1994.

Bahr, Hermann. Die Überwindung des Naturalismus. Kritische Schriften in Einzelausgaben II. Weimar 2004.

Bahr, Hermann. Secession. Kritische Schriften in Einzelausgaben IV. Weimar 2004.

Bramann, Jorn; Moran, John. Karl Wittgenstein, Business Tycoon and Art Patron. In: The Austrian History Yearbook. Vol. XV–XVI (1979–1980).

Brandstätter, Christian (Hg). Stadtchronik Wien. Wien 1986.

Brenner, Helmut; Kubik, Reinhold. Mahlers Welt. Die Orte seines Lebens, St. Pölten, Salzburg 2011.

Broch, Hermann. Hofmannsthal und seine Zeit. Berlin 2001.

Bryan, Gilliam. Richard Strauss. Magier der Töne. Eine Biographie. München 2014.

Clark, Christopher. Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. München 2013.

Czernin, Ottokar Graf. Im Weltkriege, Berlin, Wien 1919.

Czernin, Ottokar Graf. Mein Afrikanisches Tagebuch. Wien (1928) 2010.

De Waal, Edmund. Der Hase mit den Bernsteinaugen: Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi. Wien 2011.

Felder, Cajetan. Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters. München 1964.

Ferguson, Niall. The House of Rothschild. The World’s Banker 1849–1999. New York 1998.

Fischer, Jens Malte. Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Wien 2003.

Fuchs, Hans. Anna Sacher, geborene Fuchs. Ein Wiener Original. In: Jahrbuch der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft »Adler« 7 (1967/1970).

Fugger, Nora. Im Glanz der Kaiserzeit: Memoiren. Wien 1980.

Gaugusch, Georg. Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938. 1. Bd. A–K. Wien 2011.

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Gottlieb, Max. Die Industrie in Gast- und Schankgewerbe. Wien 1903.

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Kinsky-Wilczek, Elisabeth (Hg.). Hans Wilczek erzählt seinen Enkeln. Erinnerungen aus seinem Leben. Graz 1933.

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Kremser, Leopold. Die Entwicklung des Wiener Gastgewerbes unter besonderer Berücksichtigung der Leopoldstadt 1900–1952. Diplomarbeit. Wien 1996.

Leidinger, Hannes. Die Bedeutung der Selbstauslöschung. Aspekte der Suizidproblematik in Österreich von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Zweiten Republik. Innsbruck, Wien, Bozen 2012.

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Maderthaner, Wolfgang. Dem Volke, was des Volkes ist. Das Stadtimago und die Stadtpolitik des Karl Lueger. In: Arbeiter-Zeitung (11. März 1910).

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Mahler-Werfel, Alma. Gustav Mahler. Erinnerungen. Frankfurt am Main 1991.

Markus, Georg. Geschichten der Geschichte. Unvergeßliches von Kaisern, Käuzen, großen Künstlern und kleinen Leuten. Wien 1992.

Mattl, Siegfried (Hg.). Felix Salten: Schriftsteller – Journalist – Exilant. Ausstellungskatalog, Wien 2007.

Mayreder, Rosa. Zur Kritik der Weiblichkeit. Essays. Jena 1905/ 1907/1922.

Mazakarini, Leo. Das Hotel Sacher zu Wien. Wien 1976.

Meysels, Lucian O. In Meinem Salon ist Österreich: Berta Zuckerkandl und ihre Zeit. Wien 1984.

Morton, Frederic. Wetterleuchten. Wien 1913/14. Wien 1989.

Müller, Heidi. Dienstbare Geister. Leben und Arbeitswelt städtischer Dienstboten. Berlin 1985.

Musil, Robert. Der Mann ohne Eigenschaften. Berlin 2014 (1930).

Osterhammel, Jürgen. Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 2011. & viele weitere.

Anna Sacher und ihr Hotel. Im Wien der Jahrhundertwende

  • Artikelnr. BV128
  • Autor: Monika Czernin
    Buchverlag: Penguin Verlag
    ISBN: 978-3-945095-10-2
    Hörbuchfassung: Ungekürzte Hörbuchfassung
    Sprecher: Michael König
  • Verfügbarkeit Lagernd
  • 24,95€

  • Preis ohne Steuer 23,32€